Ins Schwarze getroffen

Letztes Jahr haben wir dort zwei mal ausgestellt: Unser Pavillon im Mittleren Schlossgarten. Mit dessen Räumung und Zerstörung musste der Raum weichen. Diese Geschichte fasst Pavillonist Harry Walter zusammen:

Ins Schwarze getroffen

„Unser Pavillon“ im Exil

Fast ein Jahr lang stand „Unser Pavillon“ in der Kernzone des Stuttgarter Bürgerprotestes. Sein Standort direkt neben der Skulptur „Schichtung 107 (Stuttgarter Tor)“ des Künstlers Thomas Lenk aus dem Jahre 1977 war mit Bedacht gewählt worden. Bestimmte formale Elemente des „Stuttgarter Tors“ wurden im Pavillon aufgegriffen und einer neuen Deutung zugeführt. Insbesondere die den Pavillon einrahmenden Lamellen sollten den Gedanken an einen Ort der Transformation, der Kommunikation und des inneren Energieflusses hervorrufen. Als „skulpturale Erweiterung“ eines aus den späten siebziger Jahren stammenden Kunstwerks war der Pavillon von Anfang an auch als Versuch zu verstehen, den Begriff von Kunst im öffentlichen Raum angesichts einer konkreten und beispiellosen gesellschaftlichen Entwicklung neu zu bestimmen. Die zahlreichen Kompromisse, die mit den Informations- und Kommunikationsbedürfnissen der politisch engagierten Bürger eingegangen werden mussten, sahen wir nicht als eine Schwächung seines Kunstcharakters an, sondern als eine Form seiner Bewährung. Im Widerstandsmilieu hat sich der Pavillon nach und nach zum Faktotum entwickelt. Seine Funktion war offen, aber nicht indifferent,  sie orientierte sich an den politischen Geschehnissen, nicht selten aber auch an den wechselnden Launen seiner Betreiber. Man konnte und durfte den Pavillon für eine seltsame Bretterbude mit Kunstanspruch halten oder auch für eine raffinierte Form politischer Einmischung. Zuletzt diente er als  Beobachtungsplattform für „self embedded artists“ und zuallerletzt als „Sanitätsstation“ der Demosanitäter.


Nun musste der Pavillon wie das Camp und viele der uralten Bäume des Mittleren Schlossgartens dem Projekt Stuttgart 21 weichen. Doch statt deren Schicksal zu teilen und von Planierraupen und Kettensägen plattgewalzt und geschreddert zu werden, konnte der Pavillon in letzter Minute aus der Kampfzone herausgefahren werden. Sein Fortleben im Bewusstsein der Öffentlichkeit kann und muss nun an anderer Stelle gesichert werden.

Schon einige Zeit suchten wir für den Fall des Falles nach einem Ort, an dem sich die im Pavillon aufgespeicherten Energien weiterhin entfalten könnten. Nicht irgendwo im Abseits, sondern genau dort, wo er am nötigsten ist: in unmittelbarer Nachbarschaft zu bedeutenden Stuttgarter Institutionen. Die Freunde des Tunnelbahnhofs werden ein milliardenschweres, mit toten Lichtaugen versehenes Monument ihres ganz speziellen Fortschrittsglaubens bekommen, der Pavillon aber sollte in veränderter Gestalt mitten über dem Eckensee schweben, mit freiem Blick auf die prominenten Stätten der Kunst und der Politik, von Enten und Schwänen umjubelt. – Ein entsprechendes Ansinnen wurde von der zuständigen Behörde, dem Ministerium für Finanzen und Wirtschaft, jedoch unter Berufung auf denkmal- und naturschützerische Aspekte (!) dankend abgelehnt. Da behördliches Umdenken dauert, mussten wir uns wegen des näher und näher rückenden Räumungstermins eine passable Zwischenlösung einfallen lassen.

Als idealer Ort eines vorübergehenden Exils bot sich – schon seiner Nähe zum Eckensee wegen – der Skulpturenhof des Württembergischen Kunstvereins an. In seine drei Teile zerlegt, sollte der Pavillon als skulpturale Äußerung über den spiegelnden Eckensee hinweg der Öffentlichkeit signalisieren, dass Kunstwerke gesellschaftliche Erfahrungen speichern und bei Bedarf jederzeit wieder abstrahlen können. Selbst dann noch, wenn sie einfach so rumstehen.

Die Inanspruchnahme dieses öffentlichen Exils wurde jedoch durch eine fernmündliche Anweisung aus dem schon genannten Ministerium in letzter Minute vereitelt. Noch auf der Schillerstraße wurde der Abtransport von Polizeikräften gestoppt, und der Pavillon durfte nach einigem Hin und Her nur unter „Polizeischutz“ seinen Bestimmungsort erreichen. Allerdings nicht so, wie wir uns das gedacht hatten. Dem Kunstvereinsleiter Hans D. Christ wurde praktisch untersagt, auf irgendeine Weise dazu beizutragen, ein als „Symbol des Widerstandes“ geltendes Gebilde im Bereich des Oberen Schlossgartens öffentlich sichtbar zu machen.

Statt auf der einst für die Präsentation von Skulpturen eingerichteten Plattform seine künstlerisch-politische Botschaft zu entfalten, musste der Pavillon also eingelagert werden und ist nun bis auf Weiteres der Öffentlichkeit entzogen.

Wir Betreiber des Pavillons empfinden diese ministerielle Verfügung als ziemlich kleinlich und letztendlich auch kurzsichtig. Während der Bauzaun im Haus der Geschichte nahezu bedenkenlos der musealen Aneignung überantwortet wurde und das tote Holz der mit dem Buchstaben K (für KUNST) bezeichneten Bäume ausdrücklich Künstlern zur Verfügung gestellt werden soll, möchte man dieses bis zuletzt noch lebendige Gebilde offenbar gänzlich aus der öffentlichen Wahrnehmung stanzen. – Und so was rächt sich bekanntlich.

Obwohl den zuständigen Behörden die künstlerischen Aspekte des Pavillons mehrfach erläutert worden waren und wir im Vorfeld der Räumung um ein Gespräch über einen neuen Aufstellungsort ersucht hatten, wurde darauf nur ablehnend oder gar nicht reagiert. Offenbar lud gerade der Hinweis, dass dieser Pavillon ein authentisches Stück Geschichte der Stuttgarter Widerstandsbewegung weitertragen sollte, dazu ein, ihn mit Argwohn, wenn nicht gar mit Furcht zu betrachten. Man will außerhalb des Museums einfach nicht mehr an dieses unappetitliche Stück Stadtgeschichte erinnert werden, tabula rasa machen. Als müsse an diesem vergleichsweise bescheidenen Gebilde exekutiert werden, was im Schlossgarten noch unerledigt blieb: die Tilgung des Gegners aus dem öffentlichen Bewusstsein über die Auslöschung seiner Symbole. Diese aus der Geschichte wohlbekannte Figur hat uns aber nicht nur mit Schrecken, sondern durchaus auch mit Stolz erfüllt. Wenn ein komplettes Ministerium durch eine schon leicht angeschimmelte Holzkiste derart verunsichert werden kann, dann darf man getrost davon ausgehen, dass man sich dort seiner Sache doch nicht so sicher ist. Mit anderen Worten: Wir haben das deutliche Gefühl, ins Schwarze getroffen zu haben. Und halten es nicht für unmöglich, dass der angekündigte neue Geist der Bürgerbeteiligung mit einiger Verzögerung doch noch in die Amtsstuben einziehen wird. Wir wollen jedenfalls alles tun, um diesen Prozess zu beschleunigen.

Als Vertreter der „anderen Hälfte“ Stuttgarts fordern wir jetzt erst recht einen Ort, an dem die durch Stuttgart 21 entfalteten Reflexionsprozesse wachgehalten und bis an die Schmerzgrenze vertieft werden können. Die eigentliche Debatte um die Ursachen möglicher gesellschaftlicher Fehlentwicklungen hat gerade erst begonnen. Diesen Prozess auf den unterschiedlichsten Ebenen zu befördern, sollte bei allen wirklich an der Zukunft Interessierten oberste Priorität genießen. „Unser Pavillon ist hierbei ein kleiner, durch seine amtlich attestierte Symbolkraft allerdings nicht länger zu vernachlässigender Faktor. Doch nur in transformierter Gestalt wird er das bleiben können, was er ist: ein Ort mit Zukunft.

Harry Walter

Über Dora Asemwald

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3 Antworten zu “Ins Schwarze getroffen”

  1. arbeitamtonfeld sagt :

    Lasst uns gemeinsam überlegen, ob und wie es mit dem Pavillon als solchem weitergehen kann.

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